Montag, 28. Juli 2014

Randnotiz: Schlüsselerlebnisse


Es war schwül. Einer dieser Tage an dem man fröstelnd im Bad steht, sich entsprechend kleidet und sich am Abend am ganzen Körper pappig fühlt. Das Tweed Jackett  zum Beispiel, welcher Teufel hatte mich da geritten dieses Ding anzuziehen?
Vormittags im Hotel hatte uns die Rezeptionistin den Schlüssel ausgehändigt zum Vortragssaal. Aufgesperrt, Schlüssel in die Jackentasche, Stühle gezählt, mit der Liste verglichen, sind die Kisten mit den Unterlagen da? Wo soll der Tisch hin, wo die Barrikade für den Empfang – ich meine, hast Du schon mal gesehen wie manche Leute reinkommen? Wenn Du die nicht einfängst ist die Bude voll und die Anwesenheitsliste gähnt Dich an. Das ist dann fast so, als hätte die Veranstaltung gar nicht stattgefunden. Kisten hier hin, Jacke ausziehen, Kisten dorthin. Steckdosen? Kabel mit Gaffa Tape fixieren sonst bricht sich noch jemand die Knochen – oder die Referentin legt einen Slapstick hin -  vom Elektronikschrott mal ganz zu schweigen. Sind genug Handouts da, wo bleiben die Tagungsgetränke? Neigt der Service eventuell zu Schichtwechsel-Amnesie und vergeigt uns die Pause? Eines ist sicher: Gegen niedrige Blutzuckerpegel hilft nur Blechkuchen und Butterbrezen. Steht das nicht parat, hilft nur noch Nr. 14 in Akutdosierung.

Irgendwann steht das eine, liegt das andere, ist verzurrt, eingestöpselt und abgesprochen. Der Saal füllt sich, man schüttelt sich zurecht und der Vortrag beginnt.

Dann kommt dieser magische Moment, an dem der Beamer erlischt, die Tagungsgetränke und der Saal geleert und nur noch hier oder dort im Gespräch versunkene Menschen wie im Stühlemeer gestrandet ausharren. Kisten aus den Verstecken hervorgeholt, Kabel aufgewickelt, Gaffa Tape abgelöst, Jackett wieder angezogen, zum Auto, Jackett ausgezogen, losgefahren. Habe Nürnberg fertig, mache Regensburg.  Andere Stadt, anderes Hotel, andere Rezeption. „Hier ist Ihr Schlüssel zum Tagungsraum.“ Sagt sie, „Danke.“ Sag ich, Schlüssel in die Jackentasche… „Ja wer bist Du denn?“

Und da hat mir dieser Schlüssel erzählt, wie langweilig es ihm war. Nie kam er irgendwo hin, immer nur Schublade Rezeption, Schlüsselloch Tagungsraum, Schublade Rezeption. Heute hatte er dieses gewisse Kribbeln gespürt, das er eigentlich gar nicht kannte. Dieses Tweed Jackett hatte etwas, es war wie ein Versprechen. Die große weite Welt jenseits dieses Nürnberger Hotels - plötzlich schien sie in Reichweite. Erst war es ein banges Hoffen, aber dann verdichtetes es sich zur Gewissheit. Spätestens als er im Auto unterwegs war - da wusste er, dass sein Leben für immer ein anderes sein würde. Er würde etwas von der Welt sehen, er hätte seinen Kindern etwas zu erzählen und die wiederum den Enkeln.

Okay, sagte ich, es ist nicht viel was ich für Dich tun kann, weißt Du? Aber gut, ich zeigt Dir mal den Tagungsraum von diesem Hotel in dieser Stadt, nein, das Schlüsselloch geht leider nicht, es wäre unpassend - sag ich mal. Ich zeig Dir auch die Aussicht aus dem Fenster und die Rezeptzionistin von hier. Dann suche ich Dir einen hübschen Umschlag und Du machst eine Reise nach Nürnberg. Mit der Post, das ist spannend, sage ich Dir. Die haben da so eine Art Achterbahn wo die Briefe sortiert werden. Nein, es tut nicht weh, schau her, der Umschlag ist ganz weich gepolstert. Und die Dame in Nürnberg hat schon nach Dir gerufen, sie vermisst Dich. Also, leb wohl kleiner Ausreißer, wer weiß eines Tages vielleicht, nimmt Dich jemand mal auf eine wirklich große Reise mit...  -dc-

1 Kommentar:

  1. Liebe Christina,
    Dein Erleben ist so wunderbar von Dir geschrieben, so dass sich das Gefühl erwecken könnte. selbst dabei gewesen sein zu können :-) Vielen Dank dafür- und hab immer eine gute, große, freudvolle Reise, bei dieser Dich viele gut begleiten können..... sb*

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