Donnerstag, 2. Juni 2016

Durch Raum und Zeit


Selbst dem Dichter zeigt sie die kalte Schulter. Sein „Verweile doch, Du bist so schön…“ verhallt folgenlos. Die Zeit, sie kommt nicht wieder und wenn man den Trick mit der Wiederholung versucht, kommt nicht dasselbe dabei heraus. Die Vernunft weiß das natürlich, aber das Gefühl möchte doch so gerne. Manchmal findet man sich auch in einer Wiederholung wieder, obwohl man das nicht vorhatte und dann geschehen Dinge, die sich irgendwie merkwürdig anfühlen. Soweit ich das feststellen konnte, eignen sich „aufgeladene“ Ort für solche Erlebnisse gut. Also etwa Wallfahrtsorte und da hatten wir auf unserer letzten Italienreise eine reiche Auswahl.

Via Francigena: Ponte della Madalena - Provinz Lucca
Da windet sich ein alter Pilgerweg über den Apennin, die „Via Francigena“ die wohl auch am Monte Amiata vorbeiführte und dort im Kloster San Salvatore im Jahr 876 erstmals als Name auf einem Pergament auftaucht. Dieser Weg heißt so, weil er von Frankreich kommt, aber es gibt Vermutungen, dass eigentlich Canterbury in England der Ausgangspunkt ist. Wenn man das Wort „Pilgerweg“ hört, denkt man irgendwie an einen Feldweg oder jedenfalls etwas Schmales, auf dem man zu Fuß unterwegs ist. Aber das ist nicht die einzige Fehleinschätzung. Pilgerwege haben auch so etwas wie ein Einzugsgebiet und manchmal bilden sich darin Orte erhöhter Anziehungskraft, die so einem Pilgerweg eine Kurve aufzwingen. Da haben wir zum Beispiel Assisi.

Assisi
Assisi lag nicht direkt auf unserer Route, aber wie gesagt, die Anziehungskraft ist enorm und die letzten Besuche lagen immerhin 50 und 30 Jahre zurück und nein, wir waren damals keine Kinder. Da braucht man gar nicht erst darüber nachzudenken, ob man noch etwas wiedererkennt.
San Damiano nahe Assisi
Assisi wurde die letzten 800 Jahre praktisch von einem Mann geprägt. Es fing relativ harmlos an. Er riss sich auf dem Hauptplatz die Kleider vom Leib, weil er sich von seinem Vater nichts mehr sagen lassen wollte und rannte nackt aus der Stadt. Er wurde Franziskus gerufen und er war von einer unglaublichen Konsequenz. Er hat ein Leben geführt, das man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Als er sich im Jahr 1207 von seinem Vater lossagte war er 25, als er starb 44 Jahre alt. Bald nach seinem Tod wurde er heiliggesprochen. In nur 19 Jahren hat er Spuren hinterlassen, die größer nicht sein könnten.
Basilika San Francesco
Wenn man auf dem Vorplatz der Basilika steht, braucht man nicht gläubig zu sein, um zu sehen, dass sein Beispiel noch heute Spuren legt. Dort finden sich eine Stele und ein kleines Holzboot. Die Stele erinnert an das Schicksal der Armenier vor 100 Jahren und das Boot an die Überfahrt von 9 Menschen von Libyen nach Lampedusa. Auf der Grünfläche wird durch eine Hecke das Wort „Pax“ gebildet. Denkmäler nach Art des hl. Franziskus.

Zu seinen Lebzeiten kümmerte sich Franziskus um die Armen und Kranken, baute eigenhändig die verfallene Kapelle San Damiano auf. Er zog Gleichgesinnte an, setzte eine Bewegung in Gang, obwohl er das eigentlich so nicht wollte, wie es heißt. Was ihm wirklich am Herzen lag, ließ er blind und krank kurz vor seinem Tod aufschreiben. Wir kennen das Lied als den Sonnengesang
Plastik in San Damiano

Und als wir ganz still und alleine am frühen Morgen in San Damiano vor der Kapelle standen - da zwitscherten die Vögel in dem umliegenden Olivenbäumen und Zypressen sein Lied.