Sonntag, 14. Februar 2016

Randnotiz: Zeitgeist

Da klingelt ein etwa 20-jähriger Mann aus New York an der Türe, der Ostereier aus der Slowakei anbietet, um – wie er sagte - mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Ich meine: New York, Wien, Prag und dann … Türkenfeld? Ostereier? Dann, auf der Suche nach Haikus, die ich vor Jahren irgendwo notiert hatte, finde ich 35 Jahre alte Fotos. Aufgenommen zu einer Zeit, in der ich fast so jung war, wie der New Yorker Ostereierverkäufer. Kurz danach klingelt es an der Türe und da steht Hansi – ein Lama. Nein, kein tibetischer Schriftgelehrter, sondern ein südamerikanischer Vetter des Kamels. Ein Zirkus gastiert in der Nähe und Hansi ist auf Werbetour.
Ausgelöst durch ein Sammelsurium verschiedener Dinge und Ereignisse, die irgendwie vor langer Zeit in meinem Leben eine Rolle spielten, habe ich eine Art Flashback. Es ist einer dieser Augenblicke, in denen sich die Sichtweise schlagartig verändert. So habe ich damals die Welt gesehen, so sehe ich sie heute. Was für ein Unterschied. Der junge Mann mit seinen Ostereiern: wäre ich in seinem Alter jemals auf so eine Idee gekommen? Nie und nimmer, aber was dann? 
Da war das Berufsleben. Es waren die wilden Tage der Computerindustrie. Das Buch „Gödel, Escher, Bach“ von Douglas Hofstadter war Pflichtlektüre. Humor war von der Sorte „Per Anhalter durch die Galaxie“. Computer waren sperriges Schwermetall. Wenn die Tanten fragten: „Was machst Du denn beruflich, mein Junge?“ kam ich ins Stottern. Faxe versenden war der letzte Heuler und Internet Zukunftsmusik. Da konnten schon mal Dinge passieren, die nicht so geplant waren. Manchmal war es die Technik, manchmal Politik, aber öfter wusste keiner woran es genau lag – „Murphy’s Law“ genügte als Erklärung völlig. Die Welt stand offen und „The Sky is the Limit“ war das Mantra. Karriere war nicht Thema, das lief so nebenbei und war sowieso etwas anrüchig.
Wassermann-Zeitalter war angesagt: Psychotherapeuten, Schamanen, spirituelle Lehrer aller Richtungen hatten Köcher voller Methoden und Techniken im Angebot. Nichts war zu exotisch oder abgehoben: Atemtechniken, Schwitzhütten, Wirbeltanz, Feuerläufe, kaltes Wasser, warmes Wasser, in Höhlen, auf Gipfeln oder in der Wüste. Und dann die Ökologie, zurück zur Natur, die Erde bestellen und sich friedvoll von selbstgezogenen Gemüse ernähren. Es gibt kaum etwas, was wir ausgelassen haben. Da war die Idee Lamas zu züchten: Ich hatte eine amerikanische Fachzeitschrift abonniert, Farmen besucht, Vorschriften für die Haltung eruiert und wirtschaftliche Überlegungen angestellt. Ich mag diese Tiere, sie haben ein starkes Herz, sich riechen gut und sie schauen einen an, als könnten sie direkt in die Seele blicken.
Wenn ich so zurückschaue, möchte ich an einen ganz großen Schutzengel glauben. Wir haben das alles ohne nachhaltige Schäden überstanden, es war nie langweilig und wir können Geschichten erzählen. Ich hoffe, der junge Mann aus New York hat auch einen Schutzengel, damit er eines fernen Tages Geschichten erzählen, schmunzeln und an den Tag denken kann, als er Ostereier in Türkenfeld anbot. Die Welt fühlt sich ganz anders an als damals.

Mittwoch, 10. Februar 2016

Ostereier

Faschingsdienstag, später Nachmittag, es wird dunkel...
Es läutet an der Türe. Ein kleiner Mann, dunkelhaarig, dunkle Augen, erdfarbene Haut. Er hält uns einen Korb entgegen: "Wollen Sie handbemalte Ostereier kaufen?
Die Denkmaschinerie springt an. Nordafrikaner! Vorsicht! Ich kaufe nichts an der Türe! Ist das eine Falle um ins Haus zu gelangen? Stehen andere dunkle Typen um die Ecke?
"Ich komme aus Amerika und bereise Europa" kommt es in tatsächlich amerikanisch gefärbten Deutsch. "Sprechen Sie Englisch?" 
"Sie kommen aus Amerika, um Ostereier zu verkaufen???" Wir sind verdutzt, neugierig und  - Gott sei Dank - gemeinsam nicht sehr ängstlich. Die Unterhaltung wird auf Englisch weiter geführt. 
"Ja, ich bin Student und will die Menschen in Europa kennen lernen." Wir bitten den kleinen Mann herein, bieten ihm ein Glas Wasser an und er schenkt uns eine Stunde spannendes Mitreisen kreuz und quer durch Italien, Österreich, Deutschland. Seine Eltern sind nach Amerika ausgewandert. Sein Vater Italiener, seine Mutter Japanerin - klein, quadratisch, dunkelhaarig - heute keine leichte Reisekleidung, um offene Ohren und Türen zu finden.
Die handgemalten Ostereier - von einer Freundin aus der Slowakei - wunderschön - auch sie verdient ein wenig mit. 

Aber für Alex sind sie hauptsächlich der Türöffner, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Er verkauft so wenige, dass die Finanzierung seiner Reise damit utopisch wäre. Vor Weihnachten lagen in seinem Körbchen Kerzen - da sprach er mit Menschen in Südtirol und staunt noch heute, dass diese dort ganz natürlich Italienisch und Deutsch sprechen und manche sogar Ladinisch...

Aschermittwoch - die Eier liegen zum Verschenken bereit. Es sind die ganz großen, die Gänseeier. Ihr Geist bewacht das Haus und lässt Menschen mit fröhlichen Herzen, spontanen Ideen und großer Neugier auf das Leben willkommen herein.
Danke Alex für die spannende gemeinsame Zeit und gute Reise!