Mittwoch, 3. Juni 2015

Randnotiz: Hügel der Steineichen

Urlaub ist eine Geisteshaltung und ich finde, man sollte sich nicht allzu sehr mit Tatsachen oder sonstigen Details aufhalten. Es geht nicht darum zu wissen und zu verstehen sondern darum, die Seele baumeln zu lassen. Deshalb lese ich in der Regel keine Reisführer, jedenfalls nicht vorher. Manchmal macht mich das Eine oder Andere neugierig und dann, ja dann, lese ich etwas darüber.

Nehmen wir mal Montalcino. Eines Tages – es ist Pfingstsonntag - wollen wir morgens zu diesem Bilderbuchort. Auf dem Weg liegt die Abtei Sant´ Antimo, ein Kloster, welches vor etwa 500 Jahren pleiteging, weil der Abt eine Basilika nach dem Vorbild von Cluny bauen wollte. Was er da vorhatte wird klar, wenn man weiß, dass Cluny mit einer Schifflänge von 187 Metern die größte damals bekannte Kirche war. Die Basilika von Sant´ Antimo steht – jedenfalls soweit wie sie mit dem Vorhaben vor der Pleite gekommen sind - heute noch und ist ein Ort, an dem man die Magie sakraler Bauten spüren kann – wenn man will. Vor einigen Jahren haben sich dort französische Mönche nieder gelassen und sie beleben die Kirche zu ihren Stundengebeten mit gregorianischen Chorälen. Sie sind nur eine Hand voll und manche Stimme ist brüchig, aber ihre Hingabe bringt die alte Kirche zum Schwingen - und auch die paar Menschen, die sich dort einfinden.


In abgehobener Stimmung landen wir in Montalcino, Mons Ilcinus oder Hügel der Steineichen. Leere Gassen, ein paarTouristen, verschlafene Ladenbesitzer mit trüben Augen, nichts los hier, oder? Wo ist die nächste Bar, die einen guten Cappuccino serviert? Gegenüber vom Rathaus, hinter einer Steintreppe halb verborgen, ein kleines Lokal. Große Fenster, alte Möbel. Die Kaffeemaschine, ein Turm aus blank geputzten Kupfer mit Messingapplikationen. In Montalcino haben praktisch alle Ladengeschäfte, egal welcher Sparte, eine Weinabteilung, die Bars sowieso. Der Zusatz „… e Enoteca“ steht gefühlt an jeder Ladentür, selbst wenn Strickwaren angeboten werden.

In unserer kleinen Bar mit kupferner Kaffeemaschine stehen also die Wände voller Weinregale, der Tresen ist mit Süßigkeiten aller Art bedeckt. Es gibt hier nicht einfach Brioche. Es gibt sie mit Marmelade, Schokolade, Reispudding und „vuota“ – will heißen: ohne Inhalt. Lisetta heißt die rundliche Dame hinter dem Tresen und die meisten Kunden begrüßen sie wie ein Familienmitglied. Wir haben den Eindruck hier schauen die ganzen Verwandten vorbei und nutzen die Gelegenheit für Kaffee und etwas Süßes. Manche stehen nur da und unterhalten sich, ohne etwas zu sich zu nehmen.

Wenn man sich locker macht und etwas die Sprache versteht, partizipiert man am Leben. Dann hörst Du ewige Weisheiten wie: „… ich sag Dir, dem Wetter und den Frauen kann man keine Vorschriften machen …“ und kleine Gemeinheiten: „ … wie kommt eine so hässliche Mutter wie Du, zu so einem schönen Mädchen?“ Darauf die Antwort: „Es ist ein Junge!“ Oder man blickt in die Abgründe der zwischenmenschlichen Beziehungen: „  … weißt Du, das war doch damals, als Du mir fast die Wahrheit gesagt hättest?“ Diese Bar ist nicht einfach eine Bar. Sie ist ein soziales Medium aus dem analogen Zeitalter, ein Facebook im Renaissance-Look.

Ein paar Schritte weiter die Straße hinunter, ein kleiner Park, eingezwängt zwischen Häusern und Straßen, ein urbaner Schrebergarten, alte Bäume, penibel gepflegte Rabatten, ein Teich mit Goldfischen, Gartenzwergen und Akkordeonmusik vom Band. Ein älterer Herr, Strohhut, Krawatte, farblich passende Hosenträger, derbe Schuhe. Er harkt die Kieswege, zupft Unkraut, sammelt Laub ein. Wie müssen ratlos gewirkt haben, denn eine ältere Dame klärt uns auf. Dieser Herr dort pflegt diese öffentliche Parkanlage. Einfach so.

Wir schlendern weiter, zwei junge Männer verteilen Flugblätter: es geht um Kommunismus. Wie Kommunismus? Der mit der roten Fahne, Internationale und so? Ja klar sagen sie, was sonst? Sie lassen uns etwas verwirrt stehen, haben schneller als wir begriffen, dass wir nicht Zielgruppe sind.

Kaum ein paar Straßen weiter hören wir anschwellende Blasmusik. Am Ende einer langen Gasse bewegt sich eine Gruppe mit Instrumenten auf uns zu. Sag mal, was spielen die da? Je nun, Pfingstsonntag, der Heilige Geist steigt herab und zwar in Gestalt einer Taube. Genau: „La Paloma“ spielen sie. Wir trauen unseren Ohren nicht, aber es ist wirklich wahr. Und nein, es war keine offizielle Veranstaltung, was klar wird, als Gemeindepolizei, in Gestalt einer fesch uniformierten Dame, auftritt. Die Blasmusiker tun erschrocken, laufen auseinander, in die Arkaden hinein und spielen dabei aus Leibeskräften weiter. So wird das nichts mit dem Verstecken. Dann stehen alle um die Uniformträgerin herum, starten eine Charmeoffensive. Alles löst sich in Wohlgefallen auf, Konfliktlösung mit höherer Eingebung, sozusagen und … Blaskonzert vorbei.


Ja und die vielen Weinhandlungen haben natürlich auch einen Grund. Zurzeit ist die Fachwelt der Meinung, aus dieser Gegend käme der beste Rotwein der Toskana „Brunello di Montalcino“ genannt. Den Preisen nach zu urteilen kann es nicht anders sein.