Samstag, 8. November 2014

Randnotiz: High-end

Jenseits moralischer Wertung kann man den Begriff „Ehrlichkeit“ auch nur im Sinne von „zutreffend“ oder „den Tatsachen entsprechend“ begreifen. Es gibt Situationen, ein Wort, ein Bild da habe ich das Gefühl, dass sich der Schleier der Illusion hebt. Ein Augenblick, in dem jedes Wort der Erklärung eines zu viel wäre: Schein und Sein sind eins. Das verstehe ich unter Ehrlichkeit, auch und gerade dann wenn es absurd scheint.
Aus unserem Urlaub gibt es einen Post in diesem Blog, der von unseren Eindrücken auf dem monumentalen Friedhof der Certosa in Bologna handelt. Es ging um ein Begräbnis, dem seltsam profanen Ablauf einer Bestattung in einer pompösen Marmorgruft einerseits. Andererseits um die ergreifende und wortlose Trauer eines auffällig gekleideten Mannes an einem ärmlichen Kindergrab. Es gibt die Redensart, dass der Tod ehrlich macht und hier hatte ich dieses Gefühl: Ja, genau so ist es.


Wir leben in Bayern und hier gibt es einige Flecken, die sehen tatsächlich so aus wie Kitschpostkarten oder eine jener idealen Landschaften, die bei Malern der Romantik so beliebt waren. Die Begräbnisse, die ich in Bayern erlebt habe, hatten allesamt etwas Barockes an sich. Einmal, im Oberland, die Garmischer Berge am Horizont eines königsblauen Januartages, wähnte ich mich Komparse in einem Heimatfilm – Böllerschüsse mit fernem Echo inklusive. Aber es gab keine Kameras und der Tote war wirklich tot. Ein anderes Mal fand ich mich in einer Kirche wieder, deren äußere Schlichtheit nicht den mit Malerei und Goldstuck aufwendig dekorierten Innenraum verriet. Der huldvolle Nachruf des Priesters auf den Verstorbenen lies mich zweifeln, ob ich auf der richtigen Beerdigung war. Ich hatte mit den Verstorbenen viele Jahre zu tun und nichts von dem, was ich an ihm schätzte, war in der Rede vorgekommen. Unter all dem Goldstuck hatte ich ihn nicht wieder erkannt.


Apropos Goldstuck: Eine der prächtigsten Barockkirchen in unserer Gegend ist die des Kosters Andechs. An einem dieser sonnigen Herbsttage gingen wir mit einer alten Freundin in der Gegend spazieren. Es stellte sich heraus, dass die weitgereiste Frau schon so ziemlich überall war, nur nicht in Andechs. Also nichts wie hin und rein – aber halt: nach dem Spaziergang erst in die Schwemme und der Dehydrierung abhelfen. Dort treffen wir eine andere alte Freundin. Die erzählt von ihrem Lieblingsort in der Kirche, den wir nicht kannten: die Marienkapelle an der Klosterpforte. Hier einer der prächtigsten Kirchenräume des Barocks, da eine rußgeschwärzte Kapelle voller Opferkerzen. Und da war er wieder, dieser Effekt: hier Fassade, da Ehrlichkeit.



Und dann gab es auch noch diese absurde Note: In einer weiteren, schlichten Seitenkappelle des barocken Kirchenraumes ist das schlichte Grab von Carl Orff. Die Grabinschrift lautet: Summus finis. Sollte der Latein-Leistungskurs schon eine Weile her sein, hilft Google mit dieser Übersetzung: „high-end“
 (dc)