Sonntag, 7. September 2014

Grüße aus Italien

Auch von Türkenfeld aus ist der Weg in die südliche Toskana weit. Wir haben Urlaub und uns entschlossen, es langsam angehen zu lassen. Welch weise Voraussicht. Das Jahr 2014 scheint für uns das Jahr der Staus zu sein. Aufstöhnen nicht erforderlich - es kommt jetzt keine neue Stauerparty-Geschichte! Aber 10 Stunden Fahrt für die ersten 350 km zur Familie in Norditalien - das war heftig.
Der zweite Fahrtabschnitt lässt sich deutlich entspannter an. Ziel: Bologna, eine Industriestadt der südlichen Poebene, so war sie bei mir bisher gespeichert.



Wir machen hier nicht Station um Sauce Bolognese original zu testen, wir kommen, um uns den Friedhof der Certosa anzuschauen. Ein gruseliges Ferienprojekt? Keineswegs - Cimitero monumentale della Certosa di Bolognia - so Wort-gewaltig wie die Beschreibung dieses wahrhaft großen Friedhofs, so gewaltig die Architektur der einzelnen Familiengruften. Alles was in Bologna Rang und Nahmen hat und hatte, legt Wert darauf, hier beerdigt zu werden. Eine Ansammlung feinster Steinmetzarbeit aus zwei Jahrhunderten, heute auch genutzt für Musikaufnahmen und Sightseeingtours für Touristen.



Wir verzichten auf letzteres und machen uns an einem bewölkten Vormittag, scheinbar alleine, im großen Gelände auf Entdeckungstour. Dabei durften wir eine Beerdigung in vivo miterleben.
Zunächst sehen wir eine Gruppe Friedhofarbeiter. Grün gekleidet, mit Handschuhen und Haarschutz erinnern sie ein wenig an die Besatzung von Operationssälen. Sie bewegen ein hohes Stahlgerüst auf Rollen und fahren allerlei Gerätschaften in einem Miniauto auf den Wegen zwischen den Gräbern auf ein monumentales Marmorgrab zu. Diagonal von der anderen Seite kommt ein größerer Wagen über die Wege gefahren. Wir stehen dazwischen, versuchen uns unsichtbar zu machen im Schatten eines alten Olivenbaumes. Dann hält der größere Wagen an. Drei Grün-Gekleidete springen heraus und heben aus dem Fond einen Sarg auf einen Schubkarren-ähnlichen Wagen, den sie Richtung Stahlgestell ziehen. Wie beiläufig formiert sich hinter dem Sarg ein Grüppchen Menschen, in Alltagskleidung: Jeans, Polo, Sonnenbrille, als letzter ein blasser Herr mit zerknitterter, beiger Regenjacke, ein großes Buch unter den Arm geklemmt. Der Priester? schießt es mir durch den Kopf, aber das kann doch nicht sein... In der Zwischenzeit haben die Grünen mit Hilfe des Stahlgestells eine riesige (monumentale!) Grabplatte weg gehoben. Jetzt wird der Sarg am Gestell aufgehängt. Kaum hat sich die kleine Gruppe Menschen an dem geöffneten Grab eingefunden, wird beerdigt, sprich der Sarg in die Gruft hinunter gelassen. Der blasse Herr hat gerade noch Zeit aus seiner Aktentasche die violette Stola um den Hals zu legen, das Buch aufzuschlagen, Text verlesen - da ist das Begräbnis auch schon zu Ende.
Wir sind betreten und sagen uns, dass die offizielle Trauerfeier wahrscheinlich wo anders stattgefunden hat, dies wohl der letzte Akt im engsten Familienkreis war.
Wir finden zwei kleine Gräber, die mich ungemein berühren. Alte Gräber, winzige Grabsteine, die Aufschriften kaum lesbar unter Rosmarin, Salbei, Oliven- und Lorbeerbaum. Die Bäume sind kräftig, wachsen direkt aus dem Grab von  vor fast hundert Jahren verstorbenen Geistlichen heraus, pulsierendes Pflanzenleben auf kleinstem Grund.



Dann die Kindergräber, die meisten nur angedeutet mit einer kleinen Namenstafel, einige geschmückt mit Spielsachen, ausgewaschen von Regen und Sonne... Eines jedoch ist monumental - ein riesiges Puppenhaus über und über angefüllt und umstellt mit allem, was trauernde Eltern sich für ihr Kind gewünscht haben - Schmerz manifestiert in grellbuntem Plastikspielzeug.




Ein Schatten huscht an uns vorbei - "Scusi", auf dem engen Weg schlängelt sich ein zum Skelett abgemagerter Punk an uns vorbei. Ärmellose Lederweste auf nacktem Oberkörper, Stachelarmbänder, viele Tätowierungen... Er kniet an einem farblosen, kleinen Kindergrab nieder, reißt unwillkommene Wildblumen aus, ordnet - ordnet seinen Schmerz, der für uns so stark spürbar wird, dass es uns die Tränen in die Augen treibt. Was hätten wir von ihm gedacht, wenn er uns irgendwo in der Stadt begegnet wäre?

Erstmals bin ich dankbar, ein GPS zur Verfügung zu haben. Zwei Stunden umherstreifen in immer neuen Gängen, Abschnitten, Rondells lässt das Gefühl aufkommen, den Ausgang nicht mehr zu finden - 

- für immer zwischen überlebensgroßen Engelstatuen, Heiligen, Löwen und langen, in Stein gemeißelten Abschiedsgrüßen, herum zu irren, nicht mehr den Weg zurück ins pulsende Leben zu finden.

Bologna von einer anderen Seite - wir verlassen die Stadt mit den zwei schiefen Geschlechtertürmen, der prachtvollen Altstadt, den bunten Geschäften, den herrlichen Eisdielen mit tief berührenden Bildern im Herzen. Ciau - wir waren nicht zum letzten Mal hier!



Fortsetzung aus der Toskana folgt, sobald ich herrliche Urlaub-Langeweile verspüre!

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