Samstag, 3. September 2016

Entschleunigung auf Schwedisch

Eigentlich ging nur das Backrohr kaputt. Noch nicht mal ganz, nur der Drehwahlschalter, sozusagen das Gehirn des Backrohrs. Funken, Schmurgel, etwas Rauch und Gestank. 

Spanisches Teil im Herd eines italienischen Herstellers, der zwischendrin Pleite war und jetzt unter dem selben Namen ganz andere Öfen herstellt. Der Herd war ein Direktimport über die italienische Verwandschaft, die sich da auskennt, also alles easy, oder? ODER! "Es ist nicht ganz der gleiche Drehwahlschalter, aber es ist ganz einfach. Schau wo die Drähte herkommen und dann klemmst Du dies nach da und jenes nach dort ... wie? Was verstehst Du nicht?" 
Spätestens nach dem Vorschlag den Herd ins Auto zu laden und in die Heimat zu verfrachten war klar, dass ein neuer Herd fällig war. 


Und wenn man schon mal dabei ist, dann könnte man doch noch dies und das und überhaupt. Das Ende vom Lied ist dann eine neue Küche. Ideen zur Küche, über viele Jahre geschmiedet, steigen aus dem flüchtigen Himmel schöner Vorstellungen herab in die harte Wirklichkeit. Abgesehen davon ist klar, dass die Kunst ein interessantes Leben zu führen darin besteht, kleine Hindernisse zu meistern. Ist das verstanden, führt kein Weg an IKEA vorbei.

Keine Küche von der Stange, keine vorgegebene Idee einer Möbelausstellung. Idealvorstellungen ganz eigener Art schweben durch unsere Köpfe. "Du kannst alles selber machen, ..." steht da - "... musst aber nicht." steht da auch, aber hey, wo bleibt da das interessante Leben? Jetzt sind wir viel schlauer als vorher und beim nächsten Kaffeeklatsch können wir was erzählen. Zum Beispiel, dass es niedrige, halbhohe und hohe Schubladen gibt, wobei entweder zwei hohe, vier halbhohe oder acht niedrige in einen Unterschrank passen, auch wenn ein Unterschrank mit zwei Schubladen bestellt wird, zwei halbhohe drin sind, die Fronten allerdings die hohen sind. Man kann natürlich jeweils niedrige, halbhohe und hohe kombinieren, muss nur aufpassen, wenn es Schubladen hinter einer Türe sind, die Schienen dann in andere Bohrungen geschraubt, sowie andere Fronten und Scharniere mit 153 Grad Öffnungswinkel gebraucht werden. Diese sind allerdings nicht von hause aus dabei, es könnte ja sein, dass andere zum Einsatz kommen, die es natürlich auch gibt. Ist doch nicht so schwer zu verstehen. Wir geben sowieso nicht leicht auf und nach Maria Himmelfahrt stellt uns die Spedition die Garage mit gefühlten 1001 Kartons voll. Wenn was fehlt oder was zuviel ist, dann hilft Ihnen Ihr Möbelhaus weiter, sagt der kräftige Herr von der Spedition.
Zwei Wochen intensive Zusammenarbeit zwischen Stichsäge, Bohrmaschine und Staubsauger, zwischen vorgegebenen Bohrlöchern und eigener Schnitzkunst, kleine Blessuren inklusive. Dann ist es soweit: die Küche steht und wir finden sie schöner als wir dachten, dass sie werden würde.

Mit einer kleinen Kiste überzähliger Teile, sowie einer Liste mit fehlenden Teilen finden wird uns im Möbelhaus ein. Wir sind zu früh - die Tore sind geöffnet, allerdings nur die Cafeteria ist für das Zelebrieren eines Frühstücks vor dem Einkauf im Einsatz, mit unbegrenzten Kaffee zu 50 Cent. Wir hatten schon gefrühstückt und warten in dem, von blau-gelben Engeln noch nicht besetzten Umtausch-Center.

Gute Gelegenheit zum Beobachten was um uns herum geschieht. Von Windelhose bis zu steifen, alten Knien, alle Altersstufen erklimmen die Treppe zum Köttbullar-Tempel, Start und Ziel des Ausstellungsslaloms. Mitten in der Woche, vormittags um 9.15 Uhr ...  ich wusste davon und doch staune ich immer wieder.

Die SB-Halle ist leer, die fehlenden Scharniere schnell gefunden, aber einige der gesuchten Teile gibt es nur in der Küchnenabteilung. So erklimmen auch wir den ersten Stock, reihen uns ein in die Schlange der Wohnzimmerbewunderer, der Büromöbelausmessenden, der Schlafzimmerprobierer und der Kinderzimmerspielnden ... Wann bitte kommt endlich die Küchentabteilung? Wir wollen doch nur Besteckeinsätze!

Stopp - hier wird entschleunigt. Hier darfst du dich ganz langsam vorbeischlängeln an Traum-verlorenen Mittvierzigern, die auf Boden aufgemalten Hüpfspielen ihre Kindheit wieder entdecken. Hier versuchen wir, wie beim Indianerspielen, kleine Abkürzer zu entdecken zu unserem Ziel: Besteckkästen in der Küchenabteilung. Am Infostand nachgefragt, wo die Besteckkästen sind. "Da wo die hübschen Mädels stehen", sagt sie. "Welche Mädels?" -  "Naja, da wo das Schild mit 3,99 hängt". Tief durchatmen, nicht ungeduldig werden, die Mitmenschen sehen, wahrnehmen, wie wir alle unsere ganz persönlichen Ziele verfolgen, sehr individuell, jede/r auf seine Art. Und dabei nicht vergessen: was will ich hier wirklich, was nicht ...

Und achtsam bleiben, niemanden anrempeln, nicht drängeln, Zeit atmen ...

Es muss nicht IKEA sein. Der Alltag bietet bei jeder Tätigkeit die Möglichkeit zu überprüfen: wie aufmerksam bin ich wirklich?

Die letzten Tage erinnerte ich mich oft an die indianische Weisheit: "Mediationsübungen, die das Korn nicht wachsen lassen, taugen nichts."


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