Neulich bin ich über einen Artikel in einer großen
Tageszeitung gestolpert, die damit wirbt, nur kluge Köpfe würden dahinter
stecken. Worum es ging ist - wir werden es gleich sehen - nicht so wichtig, ich
dachte nur, ich würde mich mit dem behandelten Thema auskennen. Was
Darstellung, Wahrnehmung und Realität betrifft, bin ich eigentlich nicht
besonders naiv - vermutlich liegt das am Alter. Trotzdem kann ich mich bei der
Lektüre mancher Artikel kaum gegen Zweifel wehren, ob nicht etwa ich derjenige
bin, der völlig daneben liegt. Aber hey, da stecken kluge Köpfe dahinter. Sind
das jetzt eigentlich die Zeitungsmacher oder die Leser? Und was genau machen
die da, hinter der Zeitung?
Meine letzte Zuflucht in solchen Fällen ist ein Kalauer aus
dem Buch „Per Anhalter durch die Galaxie“ von Douglas Adams. Es handelt überraschender
Weise von einem Reiseführer durch die Galaxie. Auf dem Umschlag des Reiseführers,
so steht dort, ist zur Beruhigung der Leser die Aufschrift angebracht: „Keine
Panik!“. Die Redaktion des Reiseführers soll auf Beschwerden von Reisenden über
unzutreffende Information wie folgt eingehen: „Die Realität ist häufig ungenau.
Maßgeblich sind die Angaben im Reiseführer.“
Wie fast immer haben es die Yogis und Weisen aus dem fernen
Osten schon immer gewusst. Die sieben Schleier der Maya - diese Existenz - ist
nichts als Illusion, auch wenn mir das angeschlagene Schienbein noch so weh
tut. Realität ist Wahrnehmung plus Emotion und daher leider so beliebig wie
sonst was. Jeder hat seine eigene Wahrnehmung, die Realität in der er lebt:
nichts als eine Einflüsterung unserer Sinne und des Hormonhaushaltes - von ein
paar nebensächlichen Tatsachen einmal abgesehen. Wer inneren und äußeren Frieden,
gar die Freiheit sucht, sollte das im Auge behalten.
Ich sitze hier, mein Blick schweift über die sonnenbeschienene
Riva Schiavoni und vor mir auf dem Tischchen steht der Campari zum Preis der
schönen Aussicht. Klar, die Yogis haben Recht. Aber was mache ich, wenn ich
statt der Spitze des Glockenturms von San Marco auf – sagen wir – ein Minarett
in Fallujah sehen würde? Fallujah liegt etwa 70 km westlich von Bagdad und ist
seit babylonischer Zeit besiedeltes Gebiet, eine Stadt mit etwa 200 Moscheen -
und Schauplatz unzähliger Gefechte und Gräueltaten, jetzt gerade auch. Wer,
warum, wann und weshalb – was spielt das für eine Rolle? Wenn ich da leben
würde, wäre das einfach nur Pech gewesen? Steht mir in einer solchen Umgebung
auch der Weg frei, mir meine Realität zu schaffen, den inneren Frieden zu
finden? Spielt das eine Rolle für mich oder ist mein Sitzen in Venedig und mein
Wissen über Falludjah nur Teil derselben Illusion - einer, in der neben der
Schönheit auch das Wissen um Schreckliches enthalten ist? Lebt ein Mensch im
Irak dann nur eine Illusion, in der die Kanäle von Venedig eben nicht vorkommen
und sie deshalb auch nicht vermisst werden?
An anderer Stelle steht geschrieben, dass die Illusion sich
nicht von der Realität unterscheidet. Was ich da verstehe ist: das Schienbein
tut weh, weil es ein Schienbein ist und das Hindernis hart ist. Die Illusion
kommt an der Stelle ins Spiel, wenn ich eine Meinung dazu habe, wenn ich
Erklärungen dazu abgebe, warum das gerade mir, hier und jetzt passiert. Wenn
der Schmerz eben nur der Schmerz und nichts anderes ist, dann habe ich eine
Chance der Illusion ein Schnippchen zu schlagen. So oder so kann der Rat aber nur
lauten: meide Hindernisse in Schienbeinhöhe, ganz gleich welche Meinung Du dazu
hast. Alles andere gibt blaue Flecken.
Was hat dies nun mit inneren Frieden zu tun in einer Welt,
die alles andere als friedlich ist? Wo geht es hier zur Freiheit? Die blauen
Flecken sind der Schlüssel. Die Yogis sagen, friedlich und frei wirst Du dann,
wenn Du die blauen Flecken blaue Flecken sein lässt, nach vorne schaust und
tust was im Augenblick das Beste für Dich ist. Die Vergangenheit ist vorbei und
wenn Du Dich selbst beschimpfst oder Dich am Hindernis rächst, dann haben die
blauen Flecken Deine Zukunft geformt. Du aber wirst glauben, Du hättest eine
Entscheidung getroffen, seist Täter, Opfer oder irgendwas dazwischen und genau das
ist die Illusion. Deine ganz private, ausbaufähige Illusion. Wir geben dieser Illusion einen Namen: Realität. Keine Panik!
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