Mitten in Rosenheim gibt es einen Lokschuppen. Lokomotiven,
das liegt in ihrer Natur, sind groß, schwer und brauchen viel Platz. Dieser
Schuppen ist also groß, zumal er ja nicht nur für eine Lokomotive Platz bietet,
sondern für mehrere, und er liegt am Bahnhof, damit die Loks es nicht allzu
weit zur Arbeit haben. Lokomotiven waren in ihrer Anfangszeit etwas kurzatmig
und mussten auf längeren Strecken ausgetauscht werden, Rosenheim war so ein Ort,
wo das geschah.
Mit der Zeit entwickelten die Loks mehr Ausdauer und der
Lokschuppen stand plötzlich dort, wo er nicht mehr gebraucht wurde. Pfiffig wie
man in diesem Teil des Landes nun einmal ist, fand man rasch eine neue, lohnende
Verwendung für das stattliche Gebäude. Und das kann nur heißen: eine Kneipe. Natürlich
nicht einfach so eine Kneipe. Diese Kneipe heißt Café Lok und hat ein
angeschlossenes Ausstellungszentrum. Die Ausstellungen, die dort stattfinden sind
so erfolgreich, dass in jüngerer Zeit der Eindruck entstanden ist, der
Lokschuppen wäre ein Ausstellungszentrum mit angeschlossenem Café.
Dieser Tage stehen scherenschnittartige Lamas in poppigen
Farben vor dem Gebäude und die Wände sind mit geometrischen Ornamenten
verziert. Im erwähnten Café gibt es Gerichte mit peruanischen Einschlag und die
dazu gehörige Ausstellung zeigt Exponate aus der Inka-Kultur. Überhaupt die
Inkas: eine rätselhafte, hochentwickelte Kultur mit erstaunlichen
Errungenschaften und seltsamen Bräuchen, aber davon soll hier nicht die Rede
sein. Obwohl: dass die Inkas etwa 4000 Sorten Kartoffeln kannten, kann man
nicht einfach so unter den Tisch fallen lassen. Was auch heute zuweilen noch
Verwirrung stiftet ist die Bezeichnung Lama: was anderenorts einen
buddhistischen Mönch bezeichnet, steht in Südamerika für ein dem Kamel verwandtes
Tier. Andererseits: in Peru schreiben sie das Tier „Llama“, aber wie spricht
man einen Doppelkonsonaten am Wortanfang?
Also schreibt man hier „Lama“. Von diesen Tieren gab es große Herden und
sie wurden nicht nur als Lasttiere verwendet. In europäischen Zoos haben sich
Lamas dank einer Eigenart einen gewissen Respekt erarbeitet: sie können weit
und zielsicher Magensäure spucken - wenn man ihnen auf die Nerven geht.
Allerdings nur die Mädels, die Buben haben große Hauer und beißen lieber. So
kommt es, dass man den Buben die Zähne absägt und die Mädels in Ruhe lässt.
Ausstellungen sind dafür gemacht, große Mengen von Menschen
anzuziehen. Wir erinnern uns: das Café soll Umsatz machen. Besonders in den
letzten Tagen vor den Schulferien sind Schulausflüge sehr beliebt und so kommt
eines zum anderen: Schulklassen in Ausstellungen und dann hoffentlich im Café.
So weit so gut.
An einem sonnigen Tag also saßen wir zur Mittagszeit an
einem der Tische vor dem Café Lok in Rosenheim, auf einem weitläufigen Platz
mit Lamas in poppigen Farben und warteten auf ein peruanisches Nationalgericht,
das wir bei dem türkischen Kellner bestellt hatten. An einem Nebentisch nahmen
drei auffällig unauffällige Damen und ein ebensolcher Herr Platz. Sie wollten
eine Tasse Kaffee und ob es Kuchen gäbe? Sie hatten anscheinend Formblätter
auszufüllen und waren irgendwie darüber irritiert, so wie Menschen, denen man
Dinge abverlangt, die nicht zu ihren Pflichten gehören. Kuchen gab es keinen,
es blieb bei Kaffee und Formularen. Nach und nach füllten sich alle Tische
ringsum mit Schulklassen etwa 13 jähriger Mädchen, die zu den Lehrkräften mit
dem Kaffee und den Formularen gehörten. Da sah nach einem guten Geschäft für
den Wirt aus, jeder einzelne Tisch vor
dem Café war bis auf den letzten Platz besetzt. Und dann fingen alle Mädchen an, ihren Rucksäcken Getränke und
Speisen zu entnehmen. Konnte das gut gehen?
Den Zustand einer Gesellschaft soll man ja an der Art
erkennen, wie Interessenkonflikte ausgeglichen werden. Wird es laut? Kommt es
zu Handgemenge? Müssen Ordnungshüter eingreifen?
Rosenheim hat uns beeindruckt. Unauffällig, es schien fast lautlos,
wurde von einer Ecke her die Tische geräumt, die Stühle gerückt, die Spuren
verwischt. Die Mädchen trotteten Richtung Grünfläche, die Lehrkräfte zogen
nach.
Wir kennen das schon, sagte die Bedienung, wir haben das
fast jeden Tag. Na ja, früher waren wir ja auch so, aber jetzt sind bald
Ferien, die Schulausflüge sind dann vorbei...
das wirkt sehr südländisch wie Du die Atmosphäre beschreibst, liebe Christina
AntwortenLöschensonnige Grüße aus Wien