Da klingelt ein etwa 20-jähriger Mann aus New York an der
Türe, der Ostereier aus der Slowakei anbietet, um – wie er sagte - mit Menschen
ins Gespräch zu kommen. Ich meine: New York, Wien, Prag und dann … Türkenfeld? Ostereier?
Dann, auf der Suche nach Haikus, die ich vor Jahren irgendwo notiert hatte, finde
ich 35 Jahre alte Fotos. Aufgenommen zu einer Zeit, in der ich fast so jung war,
wie der New Yorker Ostereierverkäufer. Kurz danach klingelt es an der Türe und
da steht Hansi – ein Lama. Nein, kein tibetischer Schriftgelehrter, sondern ein
südamerikanischer Vetter des Kamels. Ein Zirkus gastiert in der Nähe und Hansi
ist auf Werbetour.
Ausgelöst durch ein Sammelsurium verschiedener Dinge und
Ereignisse, die irgendwie vor langer Zeit in meinem Leben eine Rolle spielten,
habe ich eine Art Flashback. Es ist einer dieser Augenblicke, in denen sich die
Sichtweise schlagartig verändert. So habe ich damals die Welt gesehen, so sehe
ich sie heute. Was für ein Unterschied. Der junge Mann mit seinen Ostereiern: wäre
ich in seinem Alter jemals auf so eine Idee gekommen? Nie und nimmer, aber was
dann?
Da war das Berufsleben. Es waren die wilden Tage der
Computerindustrie. Das Buch „Gödel, Escher, Bach“ von Douglas Hofstadter war
Pflichtlektüre. Humor war von der Sorte „Per Anhalter durch die Galaxie“. Computer
waren sperriges Schwermetall. Wenn die Tanten fragten: „Was machst Du denn
beruflich, mein Junge?“ kam ich ins Stottern. Faxe versenden war der letzte
Heuler und Internet Zukunftsmusik. Da konnten schon mal Dinge passieren, die
nicht so geplant waren. Manchmal war es die Technik, manchmal Politik, aber öfter
wusste keiner woran es genau lag – „Murphy’s Law“ genügte als Erklärung völlig.
Die Welt stand offen und „The Sky is the Limit“ war das Mantra. Karriere war
nicht Thema, das lief so nebenbei und war sowieso etwas anrüchig.
Wassermann-Zeitalter war angesagt: Psychotherapeuten,
Schamanen, spirituelle Lehrer aller Richtungen hatten Köcher voller Methoden
und Techniken im Angebot. Nichts war zu exotisch oder abgehoben: Atemtechniken,
Schwitzhütten, Wirbeltanz, Feuerläufe, kaltes Wasser, warmes Wasser, in Höhlen,
auf Gipfeln oder in der Wüste. Und dann die Ökologie, zurück zur Natur, die
Erde bestellen und sich friedvoll von selbstgezogenen Gemüse ernähren. Es gibt
kaum etwas, was wir ausgelassen haben. Da war die Idee Lamas zu züchten: Ich
hatte eine amerikanische Fachzeitschrift abonniert, Farmen besucht, Vorschriften
für die Haltung eruiert und wirtschaftliche Überlegungen angestellt. Ich mag
diese Tiere, sie haben ein starkes Herz, sich riechen gut und sie schauen einen
an, als könnten sie direkt in die Seele blicken.
Wenn ich so zurückschaue,
möchte ich an einen ganz großen Schutzengel glauben. Wir haben das alles ohne
nachhaltige Schäden überstanden, es war nie langweilig und wir können
Geschichten erzählen. Ich hoffe, der junge Mann aus New York hat auch einen Schutzengel,
damit er eines fernen Tages Geschichten erzählen, schmunzeln und an den Tag
denken kann, als er Ostereier in Türkenfeld anbot. Die Welt fühlt sich ganz
anders an als damals.